Lasst uns mal bitte über Depression sprechen. Zumindest über meine Depression bzw. meine depressiven Phasen. Aufmerksame Leser meiner Sozialen Medien, genauer gesagt von X/Twitter, haben in den letzten Tagen mitbekommen, dass ich aktuell (wieder) in einer depressiven Phase bin. Trotzdem war ich die letzten Tage auf ein paar Events. Und ich hatte das Gefühl, dass wir einfach mal offen darüber sprechen sollten, wie das zusammen existieren kann.
Teilweise werde ich auch gefragt, was genau dazu geführt hat, dass ich wieder in einer depressiven Episode bin, meistens ist die Antwort aber “ich weiß es nicht”, da es von sehr vielen Faktoren abhängt und nicht immer einen direkten Auslöser haben muss. Diese Dinge haben dafür gesorgt, dass ich es sinnvoll finde, mal wieder darüber zu sprechen und auch aufzuklären bzw. einen Einblick zu schaffen, wie Depression bei mir und in meinem Leben aussieht.
Kurz zu mir: Ich bin 32 Jahre alt und habe mit 18 Jahren zum ersten Mal die Diagnose Depression bekommen, die für mich spätestens ab diesem Zeitpunkt (wahrscheinlich aber auch schon früher) ein stetiger Begleiter im Leben ist, mal mehr, mal weniger. Ich war bereits in einigen Kliniken und Rehas und die letzten Jahre auch durchgängig beim Therapeuten (bis Mitte 2023). Außerdem habe ich noch weitere Diagnosen wie z. B. ADHS, chronische (körperliche) Schmerzstörung, PTBS und habe Panikattacken, die alle mein Leben und meine Depression ebenfalls begleiten.
Ein Experte bin ich deshalb aber noch lange nicht. An dieser Stelle möchte ich auch dringend darauf hinweisen, dass Depression ein großer Begriff ist und sich bei jeder Person unterschiedlich äußerst, je nach Faktoren wie Lebensumstände, Alter, Support, usw. An dieser Stelle möchte ich gerne auf die Deutsche Depressionshilfe verweisen, die einen schönen Überblick geschaffen hat, was ihr tun könnt, wenn Depression bei euch ein Thema ist.
Also, nun zum eigentlichen Thema: Was meine ich damit, wenn ich sage, ich bin gerade wieder in einer depressiven Phase?
- die Gedanken und die Kommunikation mit mir selbst sind lauter, negativer und gemeiner
- ich vergesse Dinge viel öfter und auch schwerwiegenderes und muss dann z. B. nochmal zurücklaufen, mich bei jemandem entschuldigen oder ohne etwas wichtiges auskommen
- ich liege die meiste Zeit über lethargisch im Bett und brauche 3 Stunden um ohne Hilfe auf Toilette zu gehen (im Idealfall) was oft auch für starke Bauchschmerzen sorgt
- ich habe für vieles und auch wichtiges keine oder zu wenig Kraft wie z. B. essen kochen und hungere dann den halben/ganzen Tag, was alles nur noch schlimmer macht
- ich habe keinerlei inneren Antrieb oder Motivation und auch von außen kommt fast gar nichts an mich ran, sogar, wenn ich mich bemühe
- meine Gefühle sind hinter einer dicken Mauer und ich kann sie deshalb nicht oder schlechter sehen, spüren und kommunizieren
- ich kann anderen Menschen schlechter zuhören, meine Gedanken schweifen leichter ab und ich muss nochmal nachfragen
- mich von mir aus bei anderen zu melden (egal wegen was) ist noch viel schwerer als sowieso schon. Antworten ebenso. Mal geht es kurz, mal tagelang gar nicht
- ich bin anfälliger für Panikattacken und Nervenzusammenbrüche, was ebenfalls alles nochmal schwerer macht. Ich muss ständig auf der Hut sein um diese im Besten Fall vorzubeugen, wodurch ich weniger Kraft als sowieso schon für alles andere zur Verfügung habe
- ich kann mich nicht mehr oder schwerer daran erinnern, was mir gut tut und brauche Hilfe dabei
- meine Ängste sind schwerer unter Kontrolle zu bekommen und blockieren einige Möglichkeiten. Mit Hilfe geht es besser, je nachdem was, wo, wer, etc.
- Mein Körper ist müder und langsamer als sonst. Ich muss für Wege zum Bus, fertig machen o. ä. mehr Zeit einplanen, was ich oft vergesse und verpasse dann z. B. meinen Bus o. ä. und werde dann mit den Konsequenzen konfrontiert
- alles früher als sonst anzugehen ist keine Lösung, weil sich mein Körper teilweise einfach gar nicht bewegen möchte und manche Hilfsmittel nichts oder nicht genug bringen
- alles ist dunkler. Die Gedanken, die Farben, die Gefühle. Alles macht weniger oder auch gar keinen Spaß mehr
- Lachen ist schwer
- Man selbst zu sein ist schwer, weil ich mich manchmal einfach nicht mehr selbst daran erinnern kann
- vieles, was mir sonst wichtig ist, kann plötzlich egal oder Bedeutungslos werden
- die Gedanken werden teilweise so schlimm, dass alles absolut sinnlos erscheint und sich dann zu überreden, wichtige Dinge zu tun ist fast unmöglich oder sehr schwer und teilweise nur mit Hilfe zu erreichen
- gegen die negativen Gedanken im eigenen Kopf anzukämpfen kostet unfassbar viel Kraft, wodurch ich weniger Kraft als sowieso schon für alles andere zur Verfügung habe
- ich bin sehr müde die ganze Zeit, egal wie viel ich schlafe. Schlafen kann ich aber auch nicht die ganze Zeit, weils mir mit zu langem schlafen noch schlechter geht als sowieso schon
- manchmal kann ich meine Depression pausieren durch Hyperfokus (ADHS) oder Menschen, die mir sehr am Herzen liegen oder die mir wichtig sind oder durch Veranstaltungen, wo ich genug abgelenkt bin, dass diese aufgelisteten Sachen hier nicht mehr so stark ins Gewicht fallen oder auch für die Dauer verschwinden. Danach bin ich aber meistens noch depressiver als davor. Eine richtige Pause davon gibt es nicht
- ich brauche für alles Hilfe oder mehr Hilfe als sonst und um Hilfe zu bitten ist noch schwerer als sowieso schon bis unmöglich
- ich brauche meistens, wenn ich an einem Tag was unternommen habe, einen Tag Pause um mich davon zu erholen. Auch, wenn mir die Veranstaltung, Verabredung o. ä. Kraft gegeben hat, reicht diese oft nicht oder kommt nicht an gegen die Depression, weshalb es mir davon insgesamt leider meistens nicht besser geht
- Probleme werden zu schlimmen Problemen für die es keine Lösung gibt und die mich sehr belasten, dabei würden sie mich sonst kaum jucken
- ich habe das Privileg durch mein ADHS und Hyperfokus trotzdem Dinge zu erlegen, auch wenns mir so geht
- trotzdem brauche ich eigentlich Pausen wo ich lethargisch im Bett liegen kann. Wenn ich aber nur lethargisch im Bett liege wird mein Kopf und die Gedanken nur noch depressiver, also ist das keine richtige Option. Also muss ich irgendwas tun. Was mich dann noch mehr erschöpft und dann geht die Spirale nur noch weiter nach unten. Einen richtigen Weg da raus habe ich leider noch nicht gefunden. Wenn ich unterwegs oder auf einer Veranstaltung bin kann ich aber z. B. gar nicht im Bett liegen, das hilft dann schon den Tag oder diese Zeiten zu überstehen
- Wenn ich depressiv das Haus verlasse und mit Menschen zu tun habe, kann es passieren, dass ich dissoziiere. Das bedeutet, dass ich zwar anwesend bin, aber keine Verbindung mehr zu mir und meinem Körper habe. Ich sitze meistens dann einfach nur die Zeit ab, bis wieder alles miteinander verknüpft ist. Das ist eine sehr leidvolle Erfahrung, die durch diverse Taten oder Themen ausgelöst werden können, weshalb ich stark selektieren muss, mit welchen Menschen ich in dieser Zeit Zeit verbringe, weil ich auch teilweise darauf angewiesen bin, dass mir in solchen Momenten geholfen wird (z. B. Themenwechsel oder Helfen beim aufstehen als Starthilfe o. ä.)
- wenn ich keine Verabredungen oder Termine mache, vereinsame ich und dann geht es mir dadurch auch noch schlechter, weshalb keine Verabredungen auch keine Option sind
- Termine absagen hat ebenso einen großen negativen Einfluss. Meistens teile ich meinen Verabredungen direkt am Anfang oder im Vorhinein mit, dass ich mich aktuell in einer depressiven Episode befinde und die meisten meiner Angehörigen wissen dann, wie sie mich unterstützen können, worauf sie achten sollten oder was vermieden werden sollte. Da dies für die andere Person ebenfalls mehr Arbeit und Stress bedeutet, finde ich es wichtig, es offen zu kommunizieren.
- eine richtige Balance im Leben habe ich noch nicht gefunden und ist fraglich, ob das unter meinen Bedingungen überhaupt möglich ist
- um aus einer depressiven Episode wieder raus zu kommen helfen mir geregelte Tätigkeiten oder Routinen, welche aber dreimal schwerer sind als sonst und ohne Hilfe kaum machbar
- ich bin sehr viel anfälliger für Kopfschmerzen und meine chronischen Schmerzen sind schlimmer an den Tagen
- normalerweise schaffe ich mittlerweile zwei Termine am Tag (ungefähr, je nachdem), in depressiven Phasen meistens nur einen und brauche danach dann auch einen Tag zum ausruhen und/oder ich kann nur Termine wahrnehmen, die “nur” 1-3 Stunden gehen.
Nach einer gewissen Zeit (Tage oder Wochen) geht die Depression pro Tag immer weiter zurück (oder auch vor und zurück), bis sie letzendlich wieder auf einem Level ist, mit dem ich wieder “normaler” funktionieren kann. Alles was aufgelistet ist ist Teil meines täglichen Lebens aber meistens in einem Maße, dass ich trotzdem “normal” am Leben teilhaben kann (was so auch nicht stimmt, weil ich z. B. keiner geregelten Lohnarbeit nachgehen kann, weil ich dafür nicht fit genug bin und eben noch nicht regelmäßig genug funktionieren kann). Jeder Tag kann ein depressiver Tag sein und jeder Tag ein weniger depressiver Tag. Die Depression ist aber trotzdem immer da, denn bei mir ist sie chronisch und gegenwärtig Mittelgradig. Ich bin in einer privilegierten Situation, weil es mir nach Jahren mit Therapie so geht, dass ich für die meisten meiner Probleme Lösungen gefunden habe und funktionieren kann mit meinem Umfeld wie z. B., dass ich meine Streamingzeiten selbst entscheiden kann oder generell auch meine To Dos selbstständig auf den Tag verteilen kann.
Daher geht auch nicht immer streamen bzw. streams müssen spontan ausfallen, obwohl ich es fest geplant hatte, weil ich mich nicht depressiv af vor die Kamera setzen möchte, weder für euch noch für mich macht das wirklich Sinn und kostet meistens nur unnötig Kraft. Einen Streamplan brauche ich aber trotzdem für eine strukturierte Woche und es gibt mir auch manchmal Energie, einen Plan zu haben. Mein Streamplan sieht jede Woche anders aus, weil meine Termine (Sozialberatung, Physiotherapie, 1-3 Arzttermine pro Woche, Verabredungen mit Freunden oder Events …) innerhalb der Woche oder des Monats an unterschiedlichen Tagen stattfinden und ich die Streams drumherum planen muss. Ich plane zwar auch genug Pausenzeiten in meine Woche ein, manchmal reicht das eingeplante aber nicht aus. Depressive Tage sind eben Tage, an denen diese Liste schlimm ist, eine depressive Phase ist eine unbestimmte Zeit wo ich sehr depressiv bin, wo ich auch keine Ahnung habe, wann ich wieder raus bin.
Insgesamt können wir also auf jeden Fall sagen: Depression ist scheiße. Depression hat viele Gesichter und meine Liste hier bezieht sich wie oben schon erwähnt nur auf mich und mein Erleben. Tage, an denen ADHS, PTBS oder Ängste stark sind sehen nochmal etwas anders aus. Ich weiß nie, welcher Tag morgen ist, muss aber trotzdem Dinge und Verabredungen planen, weil ich sonst völlig versumpfe, lethargischer werde, etc. Dass ich aktuell an einem Punkt im Leben bin wo ich mir langsam aber sicher eine Selbstständigkeit aufbauen kann durch Streamen (Twitch, Youtube, Tiktok) und das Zeichnen (Ko-Fi inkl. Memberships, meinem Shop und Merchandise oder Commissions) ist ein riesiger Gewinn meiner Lebensqualität und Selbstwirksamkeit. Ich werde den Weg auch weiterhin gehen und bin für jede Art von Support unfassbar dankbar. Eine Erfüllende Aufgabe im Leben zu haben ist unfassbar wichtig.
Ich bin übrigens trotz meiner Einschränkungen eine zuverlässige Geschäftspartnerin, falls einige Menschen daran zweifeln. Ich kommuniziere offen mit meinen Kooperationspartn*innen oder Kund*innen über meine Lage und teile rechtzeitig mit, wenn ich Deadlines nicht einhalten können sollte, was jedoch nur in den seltensten Fällen eintritt. Es ist sehr schade, dass ich das Gefühl habe, dies an dieser Stelle deutlich machen zu müssen. Indem du diesen Beitrag gelesen hast, hast du dafür schon einen großen Beitrag geleistet, dass die Stigmata und Unwahrheiten zum Thema Depression weniger werden, indem du einer betroffenen Person zugehört hast.
Das Foto habe ich geschossen und als Beitragsbild eingereichtet. Ich habe absichtlich dieses ausgewählt, weil ein wunderschöner Sonnenuntergang zu sehen ist, der aber nur durch ein Gitter angesehen werden kann. So kann sich Depression nämlich auch manchmal anfühlen.
Ich hoffe, dass ich hiermit einen guten Einblick darin geben konnte, wie eine depressive Phase bei mir aussieht. Habt ihr Fragen oder Bereiche, über die ich auch mal schreiben soll? Lasst es mich gerne wissen! Und teilt gerne auch den Beitrag mit Angehörigen oder Freund*innen, die vom Thema betroffen sind. Es ist sehr wertvoll, sich in solchen Situationen verstanden und weniger alleine zu fühlen. Und bitte seht es mir nach, dass die Liste nicht sinnvoll sortiert ist, das habe ich aktuell einfach nicht geschafft. Aber ich bin sehr stolz, dass ich trotzdem diesen Beitrag mit allen Informationen geschafft habe!
Vielen herzlichen Dank fürs Lesen!